„EESDRON – ART“ von Hans-Peter Trampert
Zeichnungen können auf unvermittelte Weise den Tod anzeigen; das Ansetzen des Stiftes auf dem Blatt markiert den Ausgangspunkt einer Abfolge von Auslöschungen. Jede einzelne zeichnerische Form oder Figur setzt sich an die Stelle aller möglichen, doch unverwirklichten zeichnerischen Formen und Figuren; das Gesamt der Zeichnung wiederum entsteht als Ausschluß aller vorstellbarer Zeichnungen vom Prozeß der Verwirklichung. Wobei die Verwirklichung selbst die Zeichnung ist.
Tod ist zudem auf eine weitere Weise, ohne ausdrücklich benannt zu werden, Gegenstand der Zeichnung; die Linie trennt und überschneidet Felder, Bezirke, andere Linien; dieser Vorgang ist zugleich ein Prozeß der Zerstreuung, der Aufhebung des zielgerichteten Tuns. Im Zeichnen schwindet die Zeit, ohne anwesend zu sein. Das Zeichnen geschieht aus der Hand, dem Handgelenk; dieses spielt eine entscheidende Rolle; die auf Handballen und Unterarm gestützte Hand des Zeichners erfährt, bzw. vollzieht ihre Bewegungen aus dem Gelenk als dem Verbindungsstück zwischen dem Außen, der Veräußerlichung und dem Körper, dem Inneren. Die Vorstellungswelt, aus welcher die einzelne Zeichnung jeweils entsteht, erfährt ihren ersten Reflex, die Wiederspiegelung ihrer Idee, im Auseinanderspiel des Gelenks.
Was dort an Geschmeidigkeit oder Wiederstand verspürt wird, schaltet sich in das innere Sehen und verbindet sich über dieses erneut mit den Bewegungen des Stiftes auf dem Papier.
Die Zeichnung zeichnet den Körper, die Idee , die Zeit des Zeichnenden auf, ohne notwendigerweise von diesem selbst als Person Mitteilung zu machen. Was in ihrer Betrachtung offenbar wird, ist nicht im vordersten Abbild eines Gedankens oder geistig empfundene Bildhaftigkeit, sondern der Zeichnende als Vergangener. In dem Maße , in welchem dieser über die Zeichnung ausgelöscht wird, breitet sich eine wohltuende Leere aus; denn nicht allein der Zeichnende verflüchtigt sich, sondern auch der Betrachter. Dieses Moment der Leere birgt den Ansatz eines Vergleichs von Zeichnung und Welt. Gerät die Zeichnung zu einem Teil der Welt, zum Fragment eines unüberschaubaren Ganzen, oder findet sich in ihr, in Splittern, eine Auskunft, welthaft, aus der Betrachtung der Welt in die Zeichnung hineingekommen ? Nicht anders, denn als Widerspiegelung des Leeren in der Fülle der Welt, ist diese Art von Auskunft denkbar.
Sie berührt sich darin mit der Erzählung, ohne doch das genuin zeichnerische, das nicht in Sprache Übersetzbare, verloren zu geben. Die Erzählung berichtet stets von sich selbst und zugleich von anderem, welches andere sie im selben Moment zu wiederlegen bestrebt ist. Die Erzählung verstummen zu lassen, ist das eigentliche Bestreben und Geheimnis der Erzählung; die Zeichnung ungesehen zu machen, das eigentliche Bestreben und Geheimnis der Zeichnung.
Die Zeichnungen Hans-Peter Tramperts sind oftmals entwickelt aus einem Fexierspiel zwischen Figur und Grund. Bilden sie emblematische Formen, so scheinen diese klar auf dem Blatt zu stehen, doch ist zugleich die Leere des Blattes in die Zeichnung hineingezogen und stellt dort, als Steg zwischen den Linien oder als in die Zeichnung gebundenes Feld, das Gegengewicht zu den Setzungen der Linien. Deren rätselhaftes ineinander Verschlungensein, das ohne eindeutige Entzifferung eines Anfangs oder Endes bleibt, gibt zuweilen auch Figuratives, Gestalten oder Gegenstände zu erkennen, die jedoch meist in den Sog des Austauschs von Figur und Fläche einbezogen werden. Darüber hinaus greift oft hinsichtlich des Zusammenspiels einzelner Bestandteile der Zeichnung eine Irritation Raum insbesondere dann, wenn fragmentierte Körper auftauchen, einzelne Gliedmaßen sich selbstständig machen, bzw. durch Aufspaltung, Vervielfältigung oder Verwandlung den Gesetzen der Anatomie zuwiderlaufen. So kann es geschehen, daß Arme sich verlängern zu linealähnlichen Längsformen, an deren oberem Ende wiederum Kopf oder Maul eines unbekannten Schlangenwesens wachsen. Der hart gesetzte Kontrast von Schwarz (der Linienführung) und holzähnlichem Braun (des Blattes), oder das spielerische Arbeiten mit dem Papier in Art von Collagen, Papierverflechtungen, teils mit Nieten versehen, verstärkt den labyrinthischen Charakter mancher Zeichnung. Nicht selten erinnern die Zeichnungen an Schaltpläne, an Mischformen von menschlichen Körpern und elektronischen Maschinen, an aus der Vogelperspektive gesehene, in Windungen ausgebreitete Landschaften und Architekturen. Es finden sich Fabelwesen, etwa einer Fatahmorgana gleich, die Konturen ihrer Gestalt verzerrend, mit der umgebenen Landschaft verschwimmend.
„Aus dieser Welt bricht man nicht mehr aus, sondern man wird in sie hineingebrochen“.
Ein Satz Hans-Peter Tramperts, geäußert aus dem Gefühl des Unbehagens an den fortschreitenden Veränderungen, welche die moderne Welt im Gefolge der Weiterentwicklungen der Hochtechnologie erfährt. Aus der Kritik an den für den Menschen nachteiligen Auswirkungen dieser Veränderungen entstehen viele der Zeichnungen, Collagen und Bildermontagen Hans-Peter Tramperts, aus Industriepapier und Computerabfällen. Der einzelne Mensch muß sich behaupten gegenüber Prozessen, die in zunehmendem Maße unüberschaubar werden, die wohl auch eine Tendenz zur Virtualisierung der Wirklichkeit in sich tragen, die Wirklichkeit, wie sie dem Einzelnen noch in unmittelbarem Kontakt erfahrbar ist aufzulösen drohen oder bereits in Ansätzen aufgelöst haben. Zerfiele die Wirklichkeit, etwa in ein nurmehr Bildhaftes ihrer selbst oder aber in eine Vielzahl privater Wirklichkeiten, so ließe sich als eine Reaktion der Rückkehr zu Bodenständigem, Lebenswirklichen denken, als eine weitere der Entwurf individueller, auf unverwechselbare Weise persönlicher, doch nicht minder entwirklichter Wirklichkeiten. Es gäbe sich das Bild einer dreifachen Aufteilung der Erfahrung von Welt. Der allgemeinen, die individuellen Unterschiede und Eigenheiten abschleifende Entwirklichung durch die modernen Medien und den technologischen Fortschritt, stünde diametral gegenüber jene der persönlichen sich entziehenden Phantasiewelt , die bizarre und unverständliche Bilder entwirft – zwischen beiden angesiedelt jenes, was als Faktizität des Wirklichen, als die eigentliche Wirklichkeit nurmehr annäherungsweise der Erfahrung zugänglich wäre. Die Aufhebung der Gesetze des Bekannten, welche in der Regel für die Auffassung des Wirklichen einzustehen haben, hat in der Kunst, zumal in der bildenden Kunst, einen ihrer ausgezeichneten Orte. Das Groteske, dem die Zeichnungen, Bildcollagen und Installationen Hans-Peter Tramperts eng verbunden sind, läßt sich vor diesem Hintergrund lesen als eine Reaktion auf eine, aufgrund ihrer Unübersichtlichkeit und ihres stetigen Wandels selbst als verzerrt und grotesk empfundene Welt.
Klaus Hiltenkamp